Psychische Reaktionsformen querschnittgelähmter Männer
Format: 21,0 x 29,7 cm
Erscheinungsjahr: 2010
Menschen sind von Geburt an einer Fülle von Aufgaben, Problemen und Problemlagen ausgesetzt, die es zum Erhalt der eigenen Gesundheit, des angestrebten oder erreichten Lebensstandards und zur Befriedigung primärer, wie auch sekundärer Bedürfnisse zu bewältigen gilt. Die Fähigkeit, sich mit den in verschiedensten Formen und Ausprägungen auftauchenden alltäglichen Anforderungen auseinandersetzen zu können und zu müssen, kann im Verlauf der Ontogenese auf vielfältige Weise erworben werden. Was jedoch, wenn ein Individuum von einer Sekunde auf die andere mit einer gänzlich neuen, bis dato unbekannten und allein aufgrund seines, vorausgesetzt vorhandenen, Vorwissens um solche Szenarien negativ bewerteten Situation konfrontiert wird, die darüber hinaus lebenslang anhaltenden Charakter aufweist? Diese Situation ist bei Eintritt einer traumatisch bedingten Querschnittlähmung gegeben. Das gesamte Maß an zuvor erlebter Individualität, die eigene Körperlichkeit, sozialer Status, die Stellung in der Partnerschaft, in Familie und Beruf, in den sozialen Netzwerken ist in Frage gestellt und nachhaltig geschädigt. Die Auseinandersetzung mit diesem Problem kann erschwerend erst stattfinden, wenn es bereits eingetreten ist, präventive Maßnahmen sind nicht möglich. Was befähigt einen Menschen, sich mit einer derartigen Situation, genauer einer individuell erfahrenen Querschnittlähmung zu befassen, und, darüber hinaus, Möglichkeiten und Fähigkeiten zu entwickeln, auch ein Problem dieser „Größenordnung“ zu meistern? Zudem stellt sich die Frage, was „meistern“ im Einzelnen impliziert. Wird eine Querschnittlähmung akzeptiert? Ist es notwendig, ein neues, vollkommen modifiziertes Bewusstsein, oder genauer, ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln? Kurz, welche Verlaufsbedingungen und Voraussetzungen sind erforderlich, die einem verunfallten querschnittgelähmten Menschen am Ende dieses Prozesses gestatten, unter Anbetracht der neuen Bedingungen und situativen Veränderungen zumindest seine prätraumatische individuelle Lebensqualität zu erreichen, oder aber im günstigsten aller Fälle zu verbessern. Demgegenüber stellt sich die Frage, welche Bedingungen hinderlich und störend wirken, resp. unter welchen Voraussetzungen die explizit wie implizit gestellten Anforderungen an sich selbst gar verunmöglicht werden. In der vorliegenden Arbeit sollen diese Aspekte des Bewältigungsgeschehen Betrachtung finden. Bei dem zu betrachtenden Phänomen handelt es sich um komplette, als auch inkomplette Querschnittlähmungen. Jedem Querschnittgelähmten erwachsen aus der neuen Situation ähnliche Grunderfahrungen und Problemkreise, mit denen er sich früher oder später auseinandersetzen muss. Zusätzlich ergeben sich aufgrund unterschiedlicher Läsionstypen, hier komplett vs. inkomplett, verschiedene Ausgang Positionen zur Verarbeitung der jeweiligen Querschnittlähmung. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, welche psychologischen Einflussgrößen bei diesen Prozessen mitwirken, ob es zu Modifikationen derselben kommt und inwiefern externen Variablen eine Rolle zukommt. Es soll vergleichend zwischen inkomplett und komplett Gelähmten betrachtet werden, inwieweit sich das „Wissen“ um die Endgültigkeit seines Zustandes, resp. um die Möglichkeit auf Besserung desselben auf den psychologischen Verarbeitungsprozess auswirkt. Darüber hinaus gibt es nur wenige qualitative, gleichbedeutend mit gegenstandsangemessene Arbeiten. Das Ausgangsinteresse des Verfassers dieser Arbeit entstand aufgrund der Erfahrungen, die er im Rahmen seiner Tätigkeit als Einzelfallhelfer im Bereich der Jugendhilfe machte. Hier wurde er unmittelbar mit dem Unfallgeschehen einer seiner Klientinnen konfrontiert. Eine Vertiefung des Interesses fand während eines anschließenden Praktikums auf der Akutstation für Querschnittgelähmte der Klinik-Buch statt. Um einer implizit bewertenden Haltung gegenüber den Informationen der Untersuchungsteilnehmern vorzubeugen, sind für die vorliegende Arbeit die Ausführungen Thomaes herangezogen worden, der als neutralen Oberbegriff für alle Antworten auf Belastung den der Reaktionsform einführt. In diesem Sinne wurde auch der Titel der Arbeit gewählt, um auf dieser Art und Wiese jeder „Reaktion“ gerecht werden zu können.