Röntgendiffraktometrische Ermittlung tiefenabhängiger Eigenspannungsverteilungen in Dünnschichtsystemen mit komplexem Aufbau
Format: 14,8 x 21,0 cm
In der vorliegenden Arbeit wird ein Formalismus entwickelt, der die tiefenaufgelöste röntgenographische Eigenspannungsanalyse in dünnen Schichten auf den Fall von Multilagenschichtsystemen überträgt und erweitert. Der Grundgedanke der Methode besteht darin, den klassischen Begriff der Informationstiefe, der im Falle von alternierenden Subschichtfolgen seine physikalische Bedeutung verliert, durch ein Äquivalenzdickemodell zu ersetzen, das den Eigenspannungszustand in den jeweils beugenden Schichten in parametrisierter Form beschreibt. Der vorgeschlagene Formalismus ist unabhängig von der Beugungsgeometrie sowie dem zur Datenerfassung gewählten Diffraktionsmodus und besitzt daher universellen Charakter. Das Verfahren wird auf die Eigenspannungsanalyse in CVD-beschichteten Hartmetallwendeschneidplatten angewendet. Neben der winkeldispersiven Beugungsmethode, deren Sensitivität sich für CuKa- und CoKa-Strahlung auf die oberflächennächsten Subschichten der untersuchten Al2O3/TiCN-Multilagenschichten beschränkt, kommt auch die energiedispersive Methode unter Verwendung hochenergetischer weißer Synchrotronstrahlung zum Einsatz. An praxisrelevanten Beispielen wird demonstriert, dass der vorgeschlagene Formalismus geeignet ist, um sowohl ‚intralayer‘ Eigenspannungsgradienten innerhalb einzelner Subschichten als auch ‚interlayer‘ Eigenspannungsgradienten über mehrere Subschichten eines Multilagenschichtsystems zu detektieren. Im Rahmen der Arbeit konnte gezeigt werden, dass sich die Weißstrahlmethode gleichsam für die simultane Analyse des Schicht- als auch des grenzflächennahen Substrateigenspannungszustandes nutzen lässt. Dadurch zeichnet sich die aus herstellungstechnologischer Sicht interessante Möglichkeit ab, die energiedispersive Beugung in der Prozessoptimierung für die Untersuchung größerer Probenserien einzusetzen. Einen zweiten Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit stellt die Entwicklung eines MATHEMATICA® Programmpaketes dar, mit dessen Hilfe sich auf Grundlage der kinematischen Beugungstheorie röntgenographische Eigenspannungsanalysen für beliebige Messkonfigurationen und Schichtgeometrien simulieren lassen. Zwei wichtige Anwendungsfelder, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den experimentellen Ergebnissen stehen, werden betrachtet. So konnte der kausale Zusammenhang zwischen extrem steilen Eigenspannungsgradienten und asymmetrischer Interferenzlinienprofilverzerrung quantitativ nachgewiesen werden. Ferner wird demonstriert, dass die vollständige Simulation röntgenographischer Eigenspannungsanalysen ein wichtiges Werkzeug darstellt, um Aussagen zur Durchführbarkeit komplexer Messprobleme treffen und optimale Wege für deren Lösung aufzeigen zu können.