Die Bedeutung der Berufsrolle für Frauen in stabilen Partnerschaften
Ein Vergleich von Fallstudien
Erscheinungsjahr: 2014
Die vorliegende Untersuchung leistet einen Beitrag zur psychologischen Erfassung weiblichen Selbstverständnisses und seines Ausdrucks in der persönlichen Lebensgestaltung. Dazu wurden zwei wesentliche Elemente der Identität von Frauen betrachtet: die Berufs- und die Familienrolle. Es sollten Grundsituationen im Spannungsfeld zwischen den Leitbildern der ehe- und familiengebundenen bzw. berufsgebundenen Frau differenziert und Annahmen zu ihrer Entstehung hergeleitet werden. Um die individuellen Bedeutungszuweisungen und Interpretationen der Berufs- und Familienrolle und ihre Widerspiegelung in der aktuellen Lebenssituation zu erfassen, wurden vierzehn Frauen mit Hilfe von unstrukturierten Interviews eingehend zu den Bereichen Beruf, Partnerschaft und Selbstkonzept befragt. Die Gesprächspartnerinnen waren zwischen 30 und 43 Jahre alt und Angehörige der Mittelschicht, hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine seit mindestens sechs Jahren bestehende stabile Beziehung zu einem Mann. Die meisten Frauen waren verheiratet und hatten ein bis zwei Kinder. Eine Hälfte von ihnen arbeitete noch in ihrem Beruf, die andere Hälfte hatte ihn aufgegeben, fast immer wegen der Betreuung der Kinder. Die Auswertung der Interviews erfolgte auf zweifache Weise, indem zum einen der persönliche Entwicklungsverlauf jeder Frau dargestellt wurde, zum anderen die Inhalte des jeweiligen Gesprächs mit Hilfe von Beschreibungsdimensionen systematisiert wurden, die aus bereits vorliegenden Forschungsergebnissen sowie der Gesamtheit der Daten aller Interviews hergeleitet worden waren. Die individuellen Fallstudien wurden anschließend unter mehreren Gesichtspunkten vergleichen, um allgemeine Auffälligkeiten und Häufigkeiten erkennbar zu machen. Die Vergleiche erfolgten innerhalb der Gesamtgruppe, zwischen berufstätigen und nicht mehr berufstätigen Frauen, zwischen berufs- und familienorientierten Frauen und anhand der Übereinstimmung von Berufs- bzw. Familienorientierung mit der jetzigen Lebensgestaltung. Es zeigte sich, daß die Entscheidung für oder gegen die Berufstätigkeit durch andere Faktoren beeinflußt wurde als die Entwicklung der individuellen Rollenverständnisse. Die Fortsetzung der Berufstätigkeit über den Zeitpunkt der Familiengründung hinaus wurde vor allem durch eine geeignete Ausgangsposition im Beruf (hohe Qualifikation und großer Spielraum bei der Arbeitszeitgestaltung) und eine Partnerschaft, die neue, von der Tradition abweichende Rollendefinitionen zuläßt, begünstigt. Kennzeichen solcher Partnerschaften waren eine im Verständnis der Geschlechterrollen verankerte Betonung der Gleichheit der Partner, wachsende Intensität der Beziehung, Konfliktaustragung, gleiche Machtverteilung, hohe Vereinbarkeit der Rollenverständnisse der Partner und partnerschaftliche Arbeitsteilung. Demgegenüber stieg die individuelle Bedeutsamkeit des Berufs, je weniger die bestehende Partnerschaft diese Kennzeichen aufwies. Außerdem ging eine große Bedeutsamkeit der Berufsrolle – unabhängig von der Art des ausgeübten Berufs – oftmals einher mit einer erst während der Berufstätigkeit erworbenen Berufsidentifikation und einer ausgeprägten persönlichen Orientierung an gesellschaftlich anerkannten Werten. Stimmten Lebensgestaltung im Sinne von Ausübung bzw. Nichtausübung eines Berufs und Bedeutung, die dem Beruf beigemessen wurde, überein, äußerte sich dies in verschiedenen Merkmalen des Selbstkonzepts: Optimismus, Offenheit, Selbstbewußtsein, Aktivsein, Durchsetzungskraft und ausgeprägte Geschlechtsidentität. Letzteres war auch der Fall bei berufstätigen Müttern, denen der Beruf sehr wichtig war. Insgesamt verdeutlicht die Untersuchung die Komplexität des Zusammenhangs zwischen Rollenverständnis und Lebensgestaltung und weist unter anderem die Bedeutsamkeit der Qualität der Partnerschaft für diesen Zusammenhang aus. Zudem zeigt sich die Wichtigkeit der Übereinstimmung von Rollenverständnis und Lebensgestaltung für die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts. Diese Ergebnisse können als Grundlage für die Bildung spezifischer Hypothesen dienen, um die hier nur vermuteten Verursachungszusammenhänge gezielt zu überprüfen. Die Wechselwirkung zwischen Partnerschaftsstrukturen einerseits und der Ausübung und Bedeutsamkeit der Berufstätigkeit andererseits könnte auf diese Weise genauer erforscht werden, ebenso der Zusammenhang zwischen Selbstkonzept und rollenverständniskonformer Lebensgestaltung.